Kleine Photographenkunde

WEEGEE (Arthur Fellig), 1899-1968, in Sachen „Sensationsphotographie“ bis heute (vermutlich) ungeschlagen. Seine Themen: Katastrophen, Opfer und Täter. Er photographierte skrupellos und voller Sarkasmus Unerhörtes und Empörendes einer wuchernden Zivilisation diesseits und jenseits des Mittelmaßes. Mit seinem Infrarotlicht blitzte er Personen an, die sich offenbar unbeachtet glaubten, zeigte er die falschen Zähne der High-society, durchdrang er jede Schminke.
Seit er 1938 die offizielle Genehmigung erhielt, ein Polizeifunkgerät in seinem Wagen zu installieren, war er oftmals schneller als der Tod. Was für eine Kunst. Vor seiner Linse bluteten einige Stadtstreicher, die halbe New Yorker Gangsterwelt aus, brannten reihenweise Häuser ab.
An Weegee besonders unangenehm: Er verurteilt auch den verschämtesten Betrachter seiner Fotos gnadenlos immer wieder zu kaltblütigstem Voyeurismus.
„[…] der Dieb flehte mich an, ich solle kein Photo machen .. seiner armen, geliebten Mutter würde das Herz brechen. Ich sagte ihm, daran hätte er vorher denken sollen, und brannte ihm einen grellen Blitz mitten ins Gesicht.“
Mitleid nämlich macht die Welt nicht besser.

HENRI CARTIER-BRESSON, geb. 1908, natürlich, fehlt in keinem Fotobuch. Als Photo-Gott der Fünfziger maßgebend für bekannte und weniger bekannte Photographen. Cartier-Bresson beknipste die ganze Welt, notfalls durch ein Knopfloch. Ein Meister mit gewissen Grundsätzen. Als da wären: Normalobjektiv! S/W! Konzentration auf den Ausschnitt und -. Bloß keine Mätzchen, bitt schön! Denn alles muß mit dem Augenblick passiert sein.
Man hat schon so manches Loblied auf ihn gesungen.
Überraschenderweise soll es jedoch Augenblicke geben, die wahrer sind als seine.
Der schamvollste aller Photographen (um unbemerkt photographieren zu können, ließ er sich nicht photographieren) ist vor einigen Jahren umgestiegen und zeichnet. (Lästerzungen flüstern: Schuster, bleib bei deiner Leica.)

DIANE ARBUS, 1923-1971, gehört zu den kontinuierlichen Selbstmördern. Als Schülerin von Lisette Model (die Photographin, die immer so dicke Leute photographiert) betrachtete sie die Photographie zunächst als Mittel für soziologische Studien, war zusehend vom gesellschaftlichen Ausschuß fasziniert und verliebte sich schließlich in dessen groteske, anormalen und ungewöhnlichsten Ausgeburten.
Arbus’ Fotos lassen einen das seltsam Merkwürdige und die eigentliche Unheimlichkeit unsrer schönen neuen Welt spüren. Sie ist, wie soll man sagen, eine Art „Ravel der Photographie“. Irgendwie beunruhigend.

CHARGESHEIMER (Carl-Heinz Hargesheimer), 1924-1972, Kölner Photograph mit traurigem Herz. Photographierte in den Fuffzigern Kölsche Veedel mit all den blühenden Katholizismen und den gläubigen Nachkriegs-Katholiken. Sehr menschenfreundlich. Machte aber auch Portraits von Prominenten; bekannt vor allem das wenig schmeichelhafte Portrait Adenauers, das diesen als müden, alten Konrad darstellt. Chargesheimer photographierte in Kneipen die verliebten Paare (auch Zweck-verliebte für einen Abend beim Zungenkuß), machte Bücher über das Leben längs des Rheins, über Romanische Baukunst ebendort und schließlich, 1970, eines über „Köln 5 Uhr 30“: Ansichten einer Stadt, einer nunmehr völlig durchfunktionalisierten Stadt ohne Seele.

BRASSAI (Brassaï ist Brassaï), 1899-1984, berühmt geworden durch Veröffentlichung des Fotobildbandes „Paris de Nuit“ Anfang der Dreißiger Jahre. Kein Ort, nichts war ihm zu schmutzig; aus allem kehrte er das Poetische hervor, und sei es aus dem ordinären Strumpfband einer zwielichten Mamsell.
Er zeigte den Alltag der Nachtseite und Liebespaare aller Konstellationen in miesesten Spelunken.
In Millers „Stille Tage in Clichy“ kann man seine wundervollen Aufnahmen wiederfinden. Und Brassaï in Millers stillen Tagen.

[28.01.1988 – für Stefan]