Frau Schwarz

Der Frau Schwarz muss ich doch mal ein paar Zeilen widmen. Sie war in Ihren späten zwanziger Jahren aus Wien zu einer Weltreise aufgebrochen und bis Japan gekommen. Dort heiratete sie einen österreichischen Konsul. In Japan hat Frau Schwarz dann photographiert. Auf dem einen Foto, das sie mir gezeigt hat, war eine schöne, hochgewachsene Frau in weißem Kleid zu sehen, hinter der ein Diener eine mittelgroße Holzkiste trug. Das sei ihre Kamera gewesen, meinte Frau Schwarz, für sie zu schwer. Wie oft der Diener die Holzkiste tragen musste, weiss ich nicht. Frau Schwarz hatte nicht mehr viele Fotos zu zeigen; die Tochter habe fast alle an sich genommen. Von den zehn Fotos, die sie mir aus dem Japan der 1920er Jahren zeigten konnte, war sonst keines wirklich elektrisierend. Es waren Tore zu sehen, von Tempelanlagen, und höflich gekleidete Menschen, wahrscheinlich aus diplomatischem Dunstkreis.
„Ich bin immerzu auf meiner Reise“, sagte die 91jährige. Ihr Makramee knüpfte sie von den Grundfesten erneut, wenn sie nicht mehr weiterkam.
Der verordneten Morgenandacht in dem ziemlich furchtbaren Altersheim, in dem sie und ich gelandet waren, entzog sich Frau Schwarz mit dem Hinweis: „Ich bin katholisch!“ Aber sie war weder dies noch das. Sie war ein Freigeist durch und durch. Einmal versteckte sie mich, als man mich vom verdienten Gespräch zu nichtsnutziger Arbeit im Rahmen des Zuvieldienstes abziehen wollte, in ihrem Schrank und widerstand den inquisatorischen Fragen. Tolle Frau! [11. Juli 2022]